Antares-Seereise nach Lissabon
Bericht
Die lange Reise
Die Spannung wächst mit der Nähe der Küste. Wo wird die Antares liegen? Boulogne oder Ca-lais? Boulogne, die Eingebung stimmt und un-ser Vorskipper hat einen fabelhaften Platz aus-gesucht. Die Begrüßung fällt herzlich, aber et-was matt aus; der abziehenden Crew ist anzu-merken, daß arge Schwierigkeiten mit dem Mo-tor die Reise nicht zum reinen Genuß geraten ließen. Kein gutes Omen für uns.
Vorleine los! Langsam treibt die Ebbströmung den Bug in das Fahrwasser, Achterleine los, Deck aufklaren, wenige Minuten ungeduldiger Geschäftigkeit, dann ist Ruhe, Spannung, Er-wartung, Alle sind an Deck, Ein wenig Colum-bus fährt immer wieder mit, wenn es auf See geht, Das Meer ist immer neu, immer anders, immer eine Entdeckung, Wer wollte sonst noch segeln.
Behäbig brummend schiebt der Mot das Schiff durch die glatte, türkisfarbene See, Erst nach einiger Zeit rührt sich der Wind ein wenig, die Segel werden zum ersten Mal gesetzt, fast wei-hevoll. Wir sind kein Dampfer mehr. Ein Hoover-craft donnert vorbei, aber sonst sind im Kanal nur wenig Schiffe. Der Wachrhythmus beginnt, dreimal vier Stunden, zweimal sechs Stunden, immer zwei Mann, Kapitänswache ausgenom-men, da ist ein weibliches Wesen dabei. Das erste Mittagessen auf See, wird noch zelebriert, noch gibt es keinen Bordalltag, den soll es bei dieser Reise auch in Zukunft nicht geben. Für den Neuling im Kanal bietet allein das Studium der Gezeitenströme und die Rekapitulation der einschlägigen Navigationsübungen genügend Betätigung während der ersten Tage.
Aus dem gemütlichen Nordost wird ein steifer West, die übliche Windrichtung im Kanal, Das bedeutet einen Tag lang bolzen gegen die mäs-sig hohe, aber steile See nach Tagen und Nächten unter dem "Bullenstander". Isle of Wight liegt voraus, Cap de la Hague am frühen Nachmittag in Sicht, Isle of Wight spät querab: viel Arbeit, wenig Distanz gutgemacht. Der Ver-brauch an Pillen steigt, der Appetit sinkt. Der Bordmedikus la offeriert ein Suppositorium für alte Leute, das angeblich auch gegen See-krankheit hilft, Die moralische Wirkung ist eine ungeheuere ...
Geheimnisvolles spielt sich unter der britischen Küste ab. Der Wind ist weg, wir dümpeln übel in der toten See. Die erste Wache ist nicht an-sprechbar, der Skipper hat ein ernstes Gesicht aufgesetzt und hantiert in Schapps, die sonst nie angerührt werden. Mit verklärtem Blick kommt er nach oben, die Mannschaft schöpft Verdacht, deren weiblicher Teil hat sich in die Kombüse verzogen. Langsam, wie es sich für die nichtmilitärische Seefahrt gehört, setzt der Skipper persönlich ein Flaggensignal:
C L A U D I A.
Fast im gleichen Moment wird aus der Kombü-se eine Torte gereicht – richtig, auf hoher See eine Torte mit Biskuitteig, Bananen und Scho-koladencreme (respektlose Leute nannten das "SchimpansenSchwarzwälder"). Als schließlich noch mit weißem und je nach Geschmack ro-tem Krimsekt angestoßen wird, tönt es ein-stimmig: Es lebe die Bordfrau! Und weil ihr Ge-burtstag ist, schiebt sie noch eine zweite Torte (Stachelbeeren!) hinterher Seefahrersonntag!
Start Point. Mit ihrer Kunst in der Bildung kur-zer, prägnanter Begriffe haben die Engländer mit diesem schlichten Namen ausgedrückt, was sich kaum in einem Satz umschreiben läßt. Hier wird der Kanal weit, von hier aus braucht es bei dem vorherrschenden Westwind oft keinen Kreuzschlag mehr, um an Brest vorbei Cap Fini-sterre anzusteuern, den offenen Atlantik. Das mühselige Kreuzen durch den Kanal hat sein Ende, das Schiff kann laufen. Start Point, "Bis-her stocherten wir im Kanal herum, nun stechen wir in See", steht im Logbuch.
Wegen des angesagten SüdWest laufen wir aber noch unter der britischen Küste weiter nach Westen, um erst bei den ScillyInseln nach Süden abzudrehen. Der Wind läßt aber immer mehr nach; wie Hohn klingt es aus dem Laut-sprecher: "Kanal: West vier bis fünf, Irische See Nordwest vier...". Schließlich dümpeln wir im öligträgen Wasser unweit Lizard Point, Die Pei-lung hat sich seit gestern Abend praktisch nicht verändert, Der offene Atlantik kündigt sich durch die lange Dünung an, die den Horizont immer wieder verschwinden läßt. Das Schlagen der Segel zerrt an den Nerven. Wir bergen sie schließlich, da sowieso kein Lufthauch mehr geht. So wird der Tag mit den vielen kleineren Reparaturen am Schiff ausgefüllt, wie sie nach etlichen Seetagen immer anfallen. Auch ein Waschfest wird eingelegt.
Die Standortbestimmung am nächsten Morgen fällt nicht schwer: Bierflaschen im Wasser zei-gen, wo wir schon am Vortag waren. Der Leuchtturm von Lizard Point begrüßt uns auch noch. Wieder ein Tag ohne Segel; es wird lang-sam fad. Wenn es so weitergeht wie bisher, schaffen wir es kaum über die Biscaya. Ein fe-ster Termin macht einem den Genuß am reinen Segeln schwer. Wind und Wasser lassen sich nicht in einen Fahrplan zwängen, den sich ein Zivilisationsflüchtling teils aus Gewohnheit, teils aus Notwendigkeit zurechtgelegt hat. So bringt die Flaute etwas Bitterkeit über den Verzicht auf Programm, den sie bedeutet,
Gegen Abend kräuselt sich das Wasser ein we-nig. Der Großbaum ist zwar nur mit Bullenstan-der auf seiner Seite zu halten, aber immerhin machen wir langsame Fahrt. Je weiter wir nach Westen kommen, umso länger wird die Bewe-gung des Schiffes, Im Morgengrauen wirkt die hohe Dünung unheimlich, wie sie vom Westen heranrollt, Wanderndes Urgebirge, sich ständig verändernde und wiederholende Bleilandschaft, schlafende Urgewalt, Ich stelle mich auf den Gaskasten am Besan: selbst von dort aus verschwindet der Horizont oft hinter den Was-serbergen. In den Tälern gibt es Luftwirbel, die Segel schlagen, obwohl es leichten Wind gibt. Die Antares wird wie im Fahrstuhl hochgefahren und gesenkt, ohne wesentlich überzuholen, kei-ne Schaukelei wie auf der Nord oder Ostsee, Der Ozean hat uns Neulinge gnädig empfangen.
Mit mäßiger Fahrt geht es durch die Biscaya. Eine Bohrinsel ist das Tagesereignis, gelegent-lich spielen Delphine ums Schiff, sonst läuft das Bordleben seinen gewohnten Gang. Aber nachts! Um Strom zu sparen und weil es wegen der wenigen Fischdampfer kaum notwendig ist, fahren wir meist ohne Positionslampen. Nach den Sternen zu steuern gelingt erst nach einiger Übung. Die See ist fast glatt, der schwache Wind bricht keine Welle, Wer hat nicht schon Meeresleuchten erlebt? Hier aber nimmt es gro-teske Formen an, im ursprünglichsten Sinn des Wortes, Kaskaden stürzen vor dem Bug her, wie ein Feuerwerk unter Wasser. Phosphores-zierende Delphinflossen schneiden durch die schwarze See und umrunden das Schiff, dessen Wasserlinie hell aufleuchtet. Wie einen Kometenschweif zieht die Antares eine helle Spur hinter sich her, die das Besansegel vor dem dunklen Himmel widerscheinen läßt. Noch nie hat mich das Meer stärker fasziniert.
Die folgenden Tage bringen wechselhaften Wind, Sonne, Bad (kühl), Flaute, Motoren, weil der Strom zur Neige geht, die ersten astronomi-schen Navigationsübungen (Mittagsbreite ist selbst für einen Anfänger einfach und relativ ge-nau), große Delphinschulen im kristallklaren, tief-blauen Wasser und schließlich eine schreckliche Nacht unter Maschine, bis endlich ein stetiger, langsam zunehmender NW bis N uns empfängt. Wir laufen ziemlich genau auf Kap Finisterre zu, Alle zwei Stunden plärrt der Lautsprecher das eintönige tüt tüt tüüüt tüt, dazwischen Rau-schen, Pfeifen, Stimmengewirr. Wie vertraut ist inzwischen dieses Geräusch, es gehört schon ganz zum Seereisendasein. Je mehr er von HIFI-Technik entfernt ist, umso vertraulicher klingt der sprachlose Rhythmus, er gibt das Ge-
fühl, nicht ganz auf sich allein gestellt zu sein, wie wenn der sichere Hafen nicht weit wäre. Es ist gleichgültig, ob das Zeichen von irgendeiner fremden Ecke kommt. Kap Finisterre, f i, ,.. .. (flicke du sie, die Sau: so ein seemännischer Merkspruch) .
Unter Spinnaker. Genuß, der gefilmt und foto-grafiert wird, Muß alles festgenagelt, konserviert werden, wo doch die Schönheit vom Augen-blick lebt Doch plötzlich Aufregung: Land vo-raus Nach Minuten des Ahnens schält sich die Kontur der Küste aus dem dichten Dunst, Schon ragt die Küste steil auf: die Sicht beträgt kaum mehr als zwei bis drei Meilen, Die Mann-schaft arbeitet so schnell wie lange nicht mehr, den Spi herunterzuholen!
Nachts passieren wir endlich Kap Finisterre, Es hat sich eine mäßige See aufgebaut, die hohe Aufmerksamkeit beim Queren des Dampfer-tracks erfordert, weil selbst nahe Schiffe immer wieder hinter den Wellen verschwinden. Es heißt nun: durchhalten, Die Flautentage im Kanal und in der Biscaya haben uns so aus dem Zeitplan gebracht, daß nicht mehr an einen Zwischenhafen in la Coruna oder einer der schönen Buchten in dieser Gegend gedacht werden kann, Der portugiesische Norder hat uns empfangen, wir müssen froh sein, noch nach Lissabon zu kommen.
Vor dem Wind kreuzend unter Vollzeug, bei strahlender Sonne, langsam sich aufbauendem Seegang was wollen wir mehr? Drei, vier Meter jagt die Antares die Wellen hinunter, fängt sich in einer Wolke von Gischt, manchmal bedrohlich walzt es von achtern her, doch immer hebt sich das Schiff elegant über die See. Die blinde Gang setzt die Vorgabe, 29, 30 sm in vier Stun-den; die Chaotengang tut das Ihre und schafft es immer wieder, die "PBL" (persönliche Best-leistung) zu überbieten.
Für die Nacht müssen wir reffen, um mehr Ruhe im Schiff zu haben. Vorsichtshalber gibt der Skipper die Devise aus: Lifebelts anlegen. Ehe wir noch mit dem Reffen begonnen haben, bläst es so, daß wir die Große bergen, Mit einem Schlag ist alles naß. Es wird ungemütlich, auch wenn das Abbacken im Lifebelt als Neuigkeit reizt.
Die Chaotengang ist am Rohr, Ein Omen? Un-ten im Schiff ist es still geworden, ernst. Keiner ist mehr so recht für Späße aufgelegt, an denen es doch sonst nie fehlte. Ölzeug für die Frei-wache, Stiefel, Südwester, Lifebelt. Stickige Luft, weil alles dicht ist, Der Wind jault durch die Wanten und immer wieder trommelt ein Brecher auf das Deck, Es hört sich an wie ein Tusch vom Zirkusorchester; jetzt kommt die tollkühne Nummer der Artisten, das Publikum hält den Atem an! Wir sind Publikum, zum Zuschauen da, zum Gespanntsein, Warten, Hoffen, auch ein wenig eitel sich im Glanz des Außerordent-lichen Sonnen. Gegen 10 Uhr nachts dröhnt es gewaltig. "Alles okay" Die Verständigung ist nur brüllend möglich.
"Land unter" melden die Chaoten, das Cockpit ist voll. Das Schauspiel wird langatmig, An Schlaf ist nicht zu denken. Die Antares holt oft gewaltig über in der aufragenden See, die uns AtlantikNeulinge noch etwas unheimlich ist. "Land unter" wird noch mehrfach gemeldet in dieser Nacht. Lenzen in der Motorenbilge ist keine leichte Sache. Warten, bis ein dicker Johnny durchgelaufen ist, dann hastig das Luk geöffnet, ein Mann in den Motorenraum und das Luk wieder abgeschlossen! Ist er fertig, das ganze wieder in umgekehrter Reihenfolge. Kein angenehmes Gefühl für den, der in der Motor-enbilge sitzt und immer wieder einen Eimer voll Wasser ins Genick kriegt.
Im Morgengrauen ist die See am eindrucksvoll-sten. Hoch über dem Rücken des Rudergän-gers bricht sich der Kamm, gischtet den Steil-hang herunter und wirft die Antares auf die Hö-he der Welle, als wenn sie eine Feder wäre, Von oben liegt das Meer einen Augenblick dem Seg-ler zu Füßen, dieser Augenblick läßt sich mit Ru-derschlägen sogar gering verlängern. Hinter Dir: ein Abgrund, in den das Schiff rücklings stürzt, so sehr Du Dich mühst, es oben zu halten. Das Wasser eilt vorbei, nimmt Dich zur Kenntnis, Schau, wie Du fertig wirst, wenn Du nicht folgen kannst!
Zuweilen bildet die Wasserlandschaft um uns merkwürdige Formen. Vereinzelt türmt sich der Gischt auf zu Fontänen, die ein, zwei Meter hoch aus den Wellenkämmen schießen. Wo der Wind auf das Wasser trifft, reissen dicke Trop-fen aus der Wasseroberfläche und fliegen die Wellenberge hinauf, als wenn die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben wären. Das Meer schimmert von den zahllosen winzigen Regen-bogen in der aufgehenden Sonne, Navigation ist Gefühlssache. Nach einem langen Kreuzschlag vor Wind in den Atlantik laufen wir wieder auf die Küste zu. Die Portugiesen haben alle Funk-feuer ausgeschaltet. Wie weit mögen uns Wind und Strom versetzt haben? Wie genau ist der gesteuerte Kurs, da uns die gut sechs Meter hohe See immer wieder anluven läßt Vorsichts-halber gehen wir fast auf Halbwindkurs, um ja nicht an unserem Ziel vorbeizulaufen. Aufkreu-zen bei 8 Bf ist kein Vergnügen.
Bei Tag sieht alles nicht mehr so bedrohlich aus. Man gewöhnt sich auch an diese Verhält-nisse. Wegen der Länge der Wellen ist die Be-wegung des Schiffes angenehm; es läßt sich trotz des Seeganges ohne wesentliche Mühe kochen. Nur gelegentlich holt die Antares auf der Flanke eines Wellenberges gewaltig über, so daß mir einmal die Bücher aus dem bb. Bü-cherschapp ins Gesicht fliegen auf der stb. Sa-lonkoje.
Vergeblich halten wir in der Abenddämmerung nach dem weittragenden Leuchtfeuer vom Cabo da Roca Ausschau. Es wird fast Mitter-nacht, bis wir es deutlich sehen, wir waren also weit nach Westen versetzt. Die See wird nied-riger, kürzer und steiler, wir haben nicht mehr tausende Meter Wasser unter uns. Land voraus, schwache Konturen nur in der Nacht, allmählich mehr Lichter. Sonntagsstimmung, kaum noch erwarten können, Spannung vor dem Neuen, Unbekannten. Fremdes Land voraus.
Nur elf Tage und Nächte waren wir auf See, doch kann die Stimmung von Magellanes nicht anders gewesen sein, als er nach Monaten Südamerika sichtete. In der Abdeckung vom Cabo da Roca wird das Wasser ruhig wie auf dem Ammersee. Am Wind laufen wir Richtung Cascais, Wie der fliegende Holländer kreuzen wir zwischen den Dampfern auf der Reede zum Ankerplatz, Völlig glattes Wasser, doch stürmi-scher Wind übers Land her, der fliegenden Gischt wie Nebelschwaden über das Wasser jagt. Auf dem Vorschiff liegend, den Anker kla-riert, bin ich ständig unter Wasserwolken. Früh um vier Uhr ist es endlich geschafft, das Schiff liegt ruhig vor Anker, alles aufgeklart, Die Crew ist rechtschaffen müde.
Freitag vor Pfingsten. Kaiserwetter, so recht für unseren Empfang in Lissabon, der alten Seefah-rerstadt. Durch die kilometerbreite Tejomün-dung hinauf, vorbei an japanischen Riesentan-kern und am Torre de Belem, wo Vasco da Gama zu seiner Ostindienfahrt aufbrach, und vorbei an der prächtigen Freitreppe an der Praca da Commercio, an der er der Überliefe-rung nach königlich empfangen wurde. Zurecht wird Lissabon als eine der schönsten Städte Europas bezeichnet! Schließlich finden wir im Yachthafen von Belem einen Liegeplatz, der mit einem eleganten Manöver unter Segeln im en-gen Hafenbekken erreicht wird. Der Motor wie sollte es anders sein streikt.
So haben wir nach zwölf Tagen wieder Land unter den Füßen. So sehr die Stadt reizt, fällt es uns schwer, uns vom Schiff zu trennen. Es ist uns vertraut geworden auf dieser (relativ) langen Reise, die so voller Eindrücke und starker Erin-nerungen in einer selten ausgewogenen Crew war, daß es nicht leicht sein wird, über einen Törn zu sagen: er war schöner.
Guido †
vom 22.5. - 6.6.1976
Boulogne
> Lissabon
Teilnehmer:
Skipper &
I. Wache
II.Wache
III. Wache
Reisetage: 14
Strecke: 1133
Per Asmuss
Claudia
Christoph †
Owi
Guido †
Amor †