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Helsinki < > St. Petersburg - 2002
Reisebericht
Helsinki
Endlich ist es einmal warm - und schon wird es uns zu warm. Wir schwitzen bei über 30°C Lufttem-peratur im Schatten. Das Wasser würde aber auch keine Abkühlung bringen, denn das Thermome-ter zeigt 27°C an. Außerdem würde ich in diesem Wasser gar nicht baden wollen: Das schmutzige Hafenwasser in Helsinki lädt nicht dazu ein. Denn in den Wochen, die unser Boot peri hier auf uns gewartet hatte, hat sich ein breiter, schmutziger, schwarz-gelber Streifen über den gemalten Was-serpass gelegt. Und dieses Gemisch aus dem Ruß des nahen Kraftwerkes und dem Blütenstaub vom Park nebenan widersteht allen Reinigungsversuchen. Trotzdem waschen die Finnen nicht weit von uns am Ufer des Parkes ganz unbekümmert ihre Teppiche mit diesem Hafenwasser in einer der Teppichwaschanlagen, wie sie typisch für Finnland sind. Sie spülen ihre Bodenbeläge im schmutzi-gen Wasser, rubbeln den Dreck heraus und spülen ihn (nach unserer Ansicht) anschließend wieder hinein. Dann werden die Teppiche in einer großen Mangel ausgequetscht und auf große Teppich-stangen gelegt. Dort hängen sie dann über Nacht um zu trocknen. Es herrscht viel Betrieb auf der Anlage, ein ständiges Kommen und Gehen. Die Finnen nutzen das schöne Wetter um ihr zu Hause zu reinigen.
Wir lassen es wegen der großen Hitze etwas gemütlicher angehen. Wir schlendern durch die Stadt: Am Hafen mischen wir uns unter die zahllosen Touristen, die aus den Fähren und Kreuzfahrtschiffen quellen. Sie werden von zahlreichen Händlern auf dem Markt am Hafen erwartet. Neben einigen lan-desunspezfischen Souvenirs, die man überall auf der Welt bekommen kann, gibt es auch einige Din-ge finnischen Ursprungs. So z.B. Kochlöffel und Werkzeuge für die Küche aus Birkenholz, Schmuck aus schönen Steinen und Holz, Kleidung aus Wolle und Leder und finnische Messer. Auf dem Markt gibt es auch alles, was der Bauch begehrt: Gemüse, Obst in allen Farben, Knoblauch frisch und in unterschiedlichster Zubereitung, Möhren, Pilze ausgesuchter Qualität, Rentierschinken, Elchsalami, Bärenpastete. Auf der Esplanade, der prächtigen Allee Helsinkis, die vom Hafen ins Zentrum führt, flanieren wir zwischen zahllosen luftig gekleideten Menschen an den Straßencafes vorbei. Hier herrscht eine lockere Atmosphäre, afrikanische Trommeln dröhnen durch die Luft, Jongleure und Gaukler zeigen ihre Kunststücke, und am Nachmittag spielen Jazz-Kapellen im Musikpavillon. Die Finnen leben den kurzen Sommer sehr intensiv: In diesem dichten Menschengetriebe entsteht sogar so etwas wie südländische Stimmung, aber ohne aufdringlichen Lärm und zudringliche Händler.
Es ist weiterhin heiß: Schwitz, stöhn. Nur auf dem Boot ist es einigermaßen erträglich. Wir streifen durch die Geschäfte und Kaufhäuser. Bei Stockmann gibt es alle Delikatessen dieser Welt - zu ent-sprechenden finnischen Preisen. Wir bewundern finnisches Design, das in alle Welt exportiert wird. Ebenso die Architektur. Besonders der Felsendom beeindruckt uns. Als wir seinen Eingang aus der Weite sehen, vermuten wir zuerst eine Tiefgarageneinfahrt. Aber als wir den engen Tunnel durch-schritten haben, zieht uns die Atmosphäre dieses ergreifenden Raumes in ihren Bann: Eine kupfer-farbene kreisrunde Scheibe scheint über uns zu schweben, nur von Speichen aus Beton gehalten. Der Raum duckt sich in den gewachsenen Fels, aus dem er herausgesprengt worden ist. Lange ge-ben wir uns der Stimmung dieser einzigartigen Kirche hin. Durch die Straßen mit vielen, sehr ab-wechslungsreichen Jugendstil-Fassaden gehen wir beeindruckt zurück in die Stadt. Im berühmten Bahnhof vom Architekt Saarinen wartet unter dem riesigen modernen Glasdach ein blauer Zug mit kyrillischer Beschriftung: Helsinki-St.Petersburg-Express entziffern wir.
Auf nach St. Petersburg
St. Petersburg ist auch unser Ziel. In zwei und einer halben Woche wollen wir von Helsinki aus dort-hin und zurücksegeln. Im COOP-Supermarkt nördlich von der Markthalle am Hafen kaufen wir noch Proviant ein: Der Laden ist Klasse: es gibt alles, aufgeräumt, übersichtlich, nur das Preisniveau ist etwa 10-20 % höher als in Deutschland. Dann bunkern wir noch Wasser an der Bootstankstelle im Nordhafen. Da legt neben uns die deutsche Yacht Pusteblume auch zum Bunkern an. „Wo kommt ihr denn her?“ „Aus St. Petersburg.“ „Da wollen wir auch hin. Wie war`s denn so?“ frage ich den Skipper. „Also, wenn Sie einen schönen und entspannten Urlaub machen wollen, dann bleiben Sie am besten hier in den finnischen Schären!“ lautet sein wenig ermutigende Rat. Und dann berichtet er, dass sein Aufenthalt dort im Rahmen eines größeren, internationalen Seglertreffens mit etwa 70 Yachten ziemlich unerfreulich war. Er spricht von endlosen Wartezeiten beim langwierigen und schi-kanösen Einklarieren und wo ohne Bakschisch nichts ginge. Zoll und Grenzpolizei würden gegenein-ander arbeiten und dies auf dem Rücken der Besucher austragen. Und Zigaretten und Alkohol bräuchten wir, um die Prozeduren etwas zu „schmieren“ und erträglicher zu gestalten. Er erzählt von Abzocke und Diebstählen in der Stadt, wo einige Geldbörsen und Fotoapparate abhanden gekom-men seien. Er zeigt mir noch die Seekarten und warnt mich eindringlich vor den tückischen Sand-bänken am Passagierterminal in St. Petersburg. Auch solle ich ja das Sperrgebiet östlich von Hapa-saari beachten und ständig Hörwache auf UKW gehen, damit ich den Anruf der russischen Coast
Guard höre und beantworten kann. Kurzum, wir überlegen schon, ob wir überhaupt noch nach St. Petersburg wollen. Obwohl wir schon bei der Vorbereitung der Reise von verschiedenen Leuten mehrfach Abschreckendes gehört hatten, wollen wir es nach kurzer Beratung doch noch versuchen. Schließlich sind die Visa da und bezahlt (immerhin rund 200 €!) - umkehren können wir immer noch. Dem Rat folgend besorgen wir noch zwei Flaschen Cognac und einige Päckchen Zigaretten, dann werfen wir entschlossen die Leinen los: Auf nach St. Petersburg.
Ich mache noch einmal eine Hafenrundfahrt durch Helsinki unter Segeln und zeige Claudia die Stadt vom Wasser aus. Und dann sind wir nach wenigen Meilen und dem Passieren einer Brücke auf dem Weg nach Osten. Zunächst segeln wir durch die grüne finnischen Schärenwelt, die uns schnell in ihren Bann zieht: Es sind traumhafte, südlich warme Segeltage. Das Revier ist abwechslungsreich: Offene, seeartige Wasserflächen wechseln mit engen, flussartigen Durchfahrten, vom Wasser um-spülter kahler Fels mit weiten Schilfgürteln. Nachts ankern wir in schönen Buchten und baden in brühwarmem Wasser. Nur die Mücken trüben die Stimmung etwas.
In Hapasaari wollen wir Ausklarieren. Freundliche Fischer zeigen uns einen guten Ankerplatz, wo wir an den Fels der Insel gehen können. Sie haben in der Nähe ihre Netze ausgelegt. Wir finden eine Stelle, wo sich der Fels ganz flach aus dem Wasser hebt und wir sehr nah heran können, ohne dass unter Wasser liegende Steine gefährlich werden. Das Wasser ist klar, man kann die Hindernisse gut sehen. An Land zu kommen ist allerdings nicht ganz so einfach: Da, wo der Fels nass ist (in der Re-gel sieht er dort schwarz aus), ist er glitschig wie mit Schmierseife eingeschmiert. Man rutscht auf der schiefen Ebene unweigerlich ins Wasser oder fällt hin, wie ich es leider schmerzlich erfahre. Es dauert daher etwas, bis das Boot zufriedenstellend vertäut ist. Aber dann entlohnt der Spaziergang am Ufer entlang und der zauberhafte Sonnenuntergang bei fast Flaute die Mühe. Ein Abend, wie er auch im Süden nicht schöner sein kann, stimmt uns froh, Urlaubsstimmung breitet sich aus.
Am Morgen, als wir gerade im Cockpit beim Frühstück sitzen, kommt die Coast Guard und ver-scheucht uns freundlich, aber bestimmt: Wir seien in militärischem Sperrgebiet. Aber in der Seekarte ist nichts eingetragen und die entsprechenden Warnschilder haben wir nur an einer anderen Insel in der Nähe gesehen. Wenigsten dürfen wir noch zu Ende frühstücken. Von den Fischern, die uns am Abend vorher diesen Ankerplatz gezeigt hatten, kaufen wir noch einige Barsche frisch aus dem Netz für`s Mittagessen, bevor es weitergeht. Das Ausklarieren ist unproblematisch. Nun beginnt das Abenteuer - wir nähern uns Russland.
Wenig Wind bringt uns nur langsam voran. Wir müssen kreuzen. Um ja nicht in das Sperrgebiet an der Grenze zu geraten (davor hatte uns die Crew Pusteblume eindringlich gewarnt), machen wir an der Tonne, die die Grenze zwischen Finnland und Russland markiert, noch ein paar Kreuzschläge. Dann queren wir ganz nah an der Tonne die imaginäre Linie, die früher einmal der Eiserne Vorhang war: Wir sind in Russland. Das UKW-Gerät ist auf Kanal 16 eingeschaltet, wir warten, dass wir ange-rufen werden, so wie es uns die Pusteblume geraten hat. Wir hören den Funkverkehr ab, verstehen aber kaum etwas von dem undeutlich gesprochenen russischen Englisch. Es herrscht mittlere Sicht. Das Verkehrstrennungsgebiet quere ich rechtwinklig mit Kurs nach Süden. Dann gehts weiter nach Osten. Der Wind wird immer weniger, wir dümpeln in der Abenddämmerung langsam mit 2 kn da-hin. Im Süden ist die Küste nicht mehr weit, im Norden ziehen die Dampfer vorbei. Von Westen hält ein kleines Boot auf der silbrig glänzenden See auf uns zu. Im Fernglas erkenne ich zwei Männer im Boot. Sie holen nur sehr langsam auf. Als sie näher heran sind gestikuliert der eine mit beiden Armen und ruft etwas, was ich aber nicht verstehe. Was wollen die? Uns ist nicht geheuer. Was tun? Da kommt ein leichter Hauch und wir nehmen wieder Fahrt auf, sogleich bleiben sie zurück. "Gott sei dank" denke ich. Aber kurz darauf sind wir wieder langsamer und sie holen wieder auf. Ihr Außen-bordmotor qualmt und hustet offenbar auf seinem letzten Loch. Was sind das für Leute, was wollen die von uns? Einer hat nur eine Hose an, sonst ist er nackt. Sie sehen nicht besonders vertrauener-weckend aus. Schließlich holen sie uns fast ein. Wild gestikulierend brüllt der eine zu uns herüber, ich verstehe nur sowas wie Russian Coast Guard. Im Fernglas sehe ich, dass sein Hemd wohl so-was wie Schulterklappen mit einem roten Stern hat. Eine Uniform? Vielleicht doch Coast Guard? Als sie ganz nahe sind verstehe ich: "Russian Coast Guard! Follow me to Coast Guard ship!" Hm - Wo ist das Coast Guard ship? Der Mann deutet nach Norden, wo wir am Horizont ein Kriegsschiff er-kennen. Kurz darauf werden wir auf Kanal 16 angerufen: Ob wir eine deutsche Segelyacht wären, wo wir herkämen, wo wir hinwollen? Wir sollen zum Coast Guard ship zur Kontrolle kommen! Alles war nur schwer verständlich. Also sind die zwei doch von der Küstenwache. Sie sahen eher wie zweifelhafte Gestalten aus. Wir ändern den Kurs nach Norden. Was wird geschehen? Was wird man mit uns machen? Was haben wir falsch gemacht? Wir sind uns keiner Schuld bewusst, fühlen uns aber gar nicht wohl.
Nach fast 2 Stunden erreichen wir schon in der Dunkelheit das Kriegsschiff. Ich berge die Segel und wir treiben. Eine Barkasse voller bewaffneter Uniformierter kommt längs, einige steigen mit ihren derben Stiefeln zu uns herüber und besetzen das Cockpit, ein Offizier geht mit mir in den Salon. Die Barkas-se mit der übrigen Mannschaft bleibt dicht neben unserer Yacht. Der Offizier spricht sehr gut Eng-lisch und scheint auch Deutsch sehr gut zu verstehen. Freundlich, aber bestimmt kontrolliert er lang-sam und gründlich alle unsere Papiere: Pässe, Visa, Schiffspapiere. Als er ein Schiffszertifikat ver-langt (außer einem Flaggenschein habe ich nichts dabei), gebe ich ihm die Registrierung der See-funkstelle mit einem großen Amtssiegel: Stempel machen sich immer gut. Er ist zufrieden. Die Kon-trolle dauert ihre Zeit. Schließlich scheint alles in Ordnung zu sein. Jetzt klärt mich der Russe auf, dass wir uns über Funk hätten anmelden müssen. Da wird mir bewusst, dass ich über den Ratschlä-gen von der Pusteblume die Hinweise in den Infoblättern völlig vergessen bzw. verwechselt habe. Aber wir seien nicht die einzigen, die diesen Fehler machten, sagt er uns. Die meisten, die ohne An-meldung nach Russland hineinsegelten, seien Deutsche. Und dann müssten sie die immer "einfan-gen", also ihnen hinterherfahren. So war er auch sehr interessiert zu erfahren, wie schnell wir segeln und unter Motor laufen könnten. Langsam löst sich die Situation, weicht unsere Anspannung. Es entwickelt sich ein Gespräch. Wir erfahren, dass er einige Jahre in Rostock stationiert war und darum so gut Deutsch versteht. Sein Vorname ist sogar "German". Er sagt uns noch die Orte, wo wir uns auf dem weiteren Weg per Funk melden sollen, bei der Einreise und Ausreise. Schließlich geht er wieder von Bord, wir winken uns zu. Die Atmosphäre ist jetzt locker. Die Matrosen scheinen nicht mehr ganz so streng, eher neugierig drein zu blicken. Und wir sind froh, dass es so gut gelau-fen ist. Der Offizier war wirklich sehr freundlich, auch seine Ermahnungen in Zukunft die Vorschriften besser zu beachten. Wir setzen wieder die Segel und segeln in die Nacht. Glücklicherweise hat uns dieser "Abstecher" nur einige Stunden gekostet, so dass unser Zeitplan für die Einreise noch nicht gefährdet ist. Man sollte nämlich das Einklarieren in Kronstadt und im Passagierterminal in St. Pe-tersburg (dazwischen liegen 19 sm) an einem Tag schaffen. Das Risiko liegt in den unkalkulierbaren Wartezeiten und Abfertigungsdauern.
Morgens kommt die Küste in Sicht. Rechtzeitig wollen wir uns per Funk bei Traffic Control und bei Inflot melden, wie uns der Offizier empfohlen hatte, aber niemand reagiert auf unsere Anrufe. Was tun? Über Handy telefonieren wir mit der Stützpunktleiterin der KA, Tatjana Bukova. Sie informiert dann die Behörden. So werden wir über Kanal 16 mit Namen angerufen und zur Vorkontrolle um die Ecke kommandiert, kaum dass wir die Mole vor Kronstadt erreichen. Die wird auf einem schwim-menden Pontonhaus (wie im Hafenhandbuch beschrieben) von einer Russin vorgenommen, die we-der Deutsch noch Englisch spricht. Alles läuft freundlich und ohne Probleme ab. Nach einer Stunde sind wir wieder auf dem Weg weiter nach St. Petersburg. „Der große Bruder“ Coast Guard über-wacht unseren Weg weiterhin lückenlos. Wir segeln an einem alten Festungsturm vorbei, der nur aus Kanonenpforten zu bestehen scheint. Dann geht es am Leuchtturm vorbei neben dem Fahrwasser weiter nach Südosten. Es herrscht viel Schiffsverkehr. Wir müssen nun zum Passagierterminal in St. Petersburg zur eigentlichen Einklarie-rung. Der Wind läßt zwar nach, aber wir schaffen es ohne Motor dorthin. Der erste Eindruck von der Stadt ist recht nüchtern: Hafen, alte Schuppen und Fabriken in ziemlich marodem Zustand. Und eine riesige neue Siedlung mit sehr hohen Wohnhäusern - fast wie bei uns. Wir sind ziemlich enttäuscht verglichen mit Stockholm, wo das Ankommen von See her ein Erlebnis ist.
An der Pier des Passagierterminal winkt uns eine Frau zu: Es ist Tatjana. So wissen wir, wo wir hin müssen. Sie holt den Zöllner, der kurz an Bord kommt und nach „blinden Passagieren“ sucht. Dann kann ich mit den beiden ins Gebäude gehen. Dort ist gerade niemand zur Abfertigung verfügbar. Zum Warten werde ich in ein Zimmer mit einem Fernseher gebeten, vor dem mehrere Uniformierte sich eine (vermutlich) Quizsendung ansehen. Es ist wie bei uns im kommerziellen Fernsehen. Schließlich kommt eine uniformierte Dame und gemeinsam mit Tatjanas Unterstützung wird der For-mularkram erledigt. Es geht alles reibungslos. Es folgt noch der Gang zum Zoll. In wenigen Minuten ist auch das erledigt, nicht einmal eine Effektenliste, die oft Schwierigkeiten machen soll, mußten wir vorlegen. Insgesamt hat die Prozedur gerademal eine Stunde gedauert. Alles lief freundlich ab. Wir verabreden uns mit Tatjana noch für den nächsten Morgen, da sie sich jetzt mit dem Leiter der Ein-reisebehörde trifft, wohl um die "Geschäftsbeziehung" zu pflegen, wie wir vermuten. Vitamin B (alt-deutsch „Beziehungen“, ostdeutsch „Seilschaften“, neudeutsch „Netzwerke“) ist das Schmiermittel für die reibungslose Einklarierung. Tatjana erklärt uns später, dass das bei der Organisation des Tref-fens der Yachten, zu der auch die Pusteblume gehörte, eben nicht gestimmt habe. Sie aber hat alles prima vorbereitet und durchgezogen. Nichts von den Schauergeschichten, die uns berichtet worden waren, ist eingetroffen.
Wir segeln wieder die schmale Fahrrinne zurück und dann in einem großen Bogen in den nördlich-sten Flussarm der Newa. Kurz bevor wir dort im neu erstandenen Sea Yacht Club festmachen, er-wischt uns noch eine gewaltige Gewitterwolke. In einem sehr heftigen Platzregen muss ich erst ref-fen, dann die Segel bergen und die Schwimmer einklappen, bevor ich völlig durchnässt festmachen kann: Wir sind in St. Petersburg angekommen.
St. Petersburg
Die Marina ist noch nicht ganz fertig. Ihre neuen Einrichtungen sind sehr gut. Rund um uns herum liegen viele große und kleine Motoryachten, alle neu. Abends spielt eine Kapelle südamerikanische Rhytmen auf der Terrasse des Restaurants. In kleinen Pavillons genießen einige Gäste lecker duften-de Steaks vom Holzkohlengrill. Auf dem Parkplatz stehen alle Automarken, die teuer sind: Porsche, Ferrari, Bentley, Aston Martin, Lamborghini usw. Für uns aber ist die Bewachung rund um die Uhr am wichtigsten. Das ist uns auch die höheren Liegegebühren wert (2,50 €/m). So machen wir uns beruhigt auf den etwa halbstündigen Weg zur U-Bahn und in die Stadt.
In den folgenden fünf Tagen erleben wir einen St. Petersburg-Extrakt in hoher Konzentration. Für den ersten Tag hat Tatjana bereits einen Ausflug zum Katharaninenpalast nach Zarskoje Selo orga-nisiert. Zusammen mit zwei anderen deutschen Crews fahren wir in einem kleinen Bus durch St. Pe-tersburg. Der Verkehr ist wie in anderen Großstädten: Chaotisch. Nach den Autos zu urteilen sind wir in irgendeiner westlichen Stadt. Einige große Stalin- oder Lenin-Statuen stehen noch auf großen Plätzen vor ehemaligen Parteizentralen. Die Fassaden der Häuser sehen etwas mitgenommen aus. Und ihr Ausdruck, ihre Erscheinung muten häufig massiv und monumental an. Ganz anders wirken die Paläste auf uns. Ihre beeindruckenden Fassaden sind durch Säulen und die blau-weiße oder grün-weiße Farbgestaltung gegliedert, wirken fast schon elegant und zierlich. Erdrückt einen bei der Ankunft die Größe der Anlage, bleibt einem im Inneren vor lauter Staunen über die Pracht und den Reichtum schier der Mund offen stehen. Wir können kaum glauben, in welchem Luxus für die dama-lige und sogar heutige Zeit die Zaren gelebt haben, wie sie Volk und Land „ausgenommen“ haben müssen, um das alles zu „bezahlen“. Ein Palast ist prächtiger als der andere. Im Katharinenpalast faszinieren uns die weitläufige Anlage und die Raumausstattung (u.a. das Bernsteinzimmer). In der Eremitage begeistert uns die Vielfalt der ausgestellten Kunstgegenstände, die Pracht der Räume ist überwältigend. Und in Peterhof lustwandeln wir genießerisch durch die Parks, erfreuen uns an den zahlreichen Wasserspielen und den zahllosen vergoldeten Brunnenfiguren, die in der Sonne blitzen. Auch in der Stadt, die von See aus einen etwas trüben Eindruck machte, blitzt Gold auf den Turm-nadeln der Peter-und-Paul- Kathedrale mit den Grabmälern der Zaren in der Festung und der Admi-ralität, die weit in den von dunklen Regenwolken verhüllten Himmel ragen. Auch die Kuppel der pompösen Isaak-Kathedrale leuchtet golden wie ein Wegweiser weithin sichtbar über den Dächern. In einer anderen orthodoxen Kirche erleben wir eine Hochzeit. Überall sieht man, wie sich die Stadt für das 300-Jahr-Jubiläum herausgeputzt hat. Viele Paläste erstrahlen in frischem Glanz. Aber dieser Glanz reicht oft nur für die Schauseiten und für die unteren Geschosse. Sonst sieht man überall Fas-saden, die vom Verfall gezeichnet sind. Wir schlendern über pulsierende Straßen wie den Newskij-Prospekt - aber auch durch tote Gassen. Im Internetcafe rufen wir unsere Mails ab. Wir essen in Lokalen, die touristischen Standard wie überall auf der Welt bieten - schnell, einfach, preiswert. McDonalds auf kyrillisch geschrieben sieht lustig aus. Die Mäc`s sehen wie bei uns oder in den USA aus, sollen aber „russisch“ schmecken. Wir haben sie nicht gekostet, sondern schlagen uns im Stro-ganov-Palais den Bauch voll: für 5 US-$ soviel russisch essen, wie man kann. Die Preise passen sich an die Touristen an. Das erleben wir auch bei der Eremitage: Während die Einheimischen nur etwa 35 Rubel bezahlen, müssen Ausländer das 12-fache berappen. Und als Individualtouristen se-hen wir uns zusätzlich benachteiligt, weil wir im Gegensatz zu Reisegruppen, für die es einen eige-nen Eingang ohne Wartezeiten gibt, genau wie die Russen fast 3 Stunden anstehen müssen, bis wir „drin“ sind. So bleibt uns nur ein halber Tag - aber das ist bereits überwältigend. Ganz besonders hat mir der Erweiterungsbau der Neuen Eremitag des Münchner Architekten Leo v. Klenze gefallen: Unterschiedlichste Räume wechseln einander ab und bieten immer wieder neue und überraschende Inszenierungen.
Auch die Stadt wirkt inszeniert, die Paläste an den Ufern der Newa, die Rostrasäulen vor der Börse, die Festung, die Plätze und Prospekte, die sich durch das Häusermeer windenden Kanäle, überragt von Kuppeln und Minaretten. Und von zahllosen Schornsteinen. Diese Stadt muss einmal prächtig gewesen sein, in einer Reihe mit den westlichen Hauptstädten stehend. Und sie wird es wieder sein, wenn die Instandsetzungen, die überall zu sehen sind, abgeschlossen sein werden. So bietet der Große Kaufhof bereits auf einigen Seiten schon gehobenen Geschäften eine neue Heimstatt, wäh-rend an anderen Stellen die heruntergekommene Bausubstanz instandgesetzt wird. Auch rund um die markt halle dröhnen Bauarbeiten, während drinnen die bauern ihre Erzeugnisse anbieten. Gemü-se und Obst wecken den Appetit, während das Fleisch nicht so ganz unseren Vorstellungen ent-spricht. Und neben bekannten Köstlichkeiten sehen wir auch manch fremde Spezialität, die uns ziemlich „eigentümlich“ anmutet. Vor der Kulisse des Panzerkreuzers Aurora, deren Schuss das Startzeichen für die russische Revo-lution von 1918 gewesen war, machen wir wie die Russen auch von uns typische Touristen-Fotos. Mit einem der vielen Tragflügelboote düsen wir noch von der Eremitage in einer Stunde nach Peter-hof - für Peter den Großen war das noch eine Tagesreise. Wir erleben diese großartige Stadt in viel zu kurzen und übervollen fünf Tagen und haben natürlich längst nicht alles gesehen.
Die Rückreise
Die Ausreise aus Russland ist völlig problemlos. Beim Ausklarieren muss ich nicht einmal mehr an Land, das wird alles kurz und schmerzlos an Bord erledigt. In Kronstad müssen wir ein paar Warte-kringel drehen. Dann geht es hinaus in den Finnischen Meerbusen, wo uns ein ungemütlicher See-gang empfängt und in die Nacht begleitet. Bald haben wir auch die beiden russischen Yachten ein-geholt und überholt, die vor uns ausklariert hatten. Auch die Funkmeldungen klappen ohne Schwie-rigkeit und so erreichen wir unbehelligt am frühen nächsten Morgen wieder die uns schon bekannte Grenztonne einige Meilen vor Hapasaari. Und genau mit dem überqueren der Grenzlinie werden wir von den Finnen angerufen. Inzwischen herrschen etwa 6 Bft gegenan. Dummerweise kämpfe ich ge-rade mit dem Autopilot, an dem ein Bolzen gebrochen ist und der darum das Steuer blockiert - eine ziemlich prekäre Situation zwischen vielen Schären und Unterwasserklippen. Erst nachdem ich das Boot wieder in meiner Gewalt habe, kann ich die wiederholten Anrufe beantworten. Aber die Finnen bleiben freundlich und die Einklarierung ist eine Formsache.
Mit frischem Wind jagen wir nun durch die finnischen Schären nach Westen. In einer der vielen Durchfahrten entdecken wir einen schönen Ankerplatz und bleiben dort einige Tage zur „Erholung“, bevor Claudia in Porvoo aussteigt um nach Hause zu fliegen und ich mich einhand auf den Rückweg nach Dänemark mache. Beim Abschied sind wir uns einig:
St. Petersburg war diese Reise wert. Aber wir würden diese Stadt beim nächsten Mal auf dem Luft-weg besuchen.
Der Cognac und die Zigaretten aber harren nun zu Hause ihrer Vernichtung.
Einige ergänzende Informationen:
Die britischen Seekarten sind informativer als die deutschen. Vor dem Passagierterminal sollte man sich unbedingt nach der Betonnung richten und keine Abkürzungen versuchen: Auf den Sandbänken neben der Fahrrinne sind schon viele Yachten aufgelaufen. Das Mündungsgebiet der Newa ist sehr flach.
Ein Visum (ca. 100 €/Person) erhält man nach einer Einladung aus St. Petersburg, z.B. von Tatjana Bukova, der Repräsentantin der KA des DSV. Tatjana rechnet ihren Aufwand an Zeit und Auslagen nach westlichen Maßstäben ab.
Alle Reisen im Jahr 2003:
Skærbæk > Helsinki
Helsinki <-> St. Petersburg
Skærbæk < Stockholm < Rauma < Turku < Helsinki
Helsinki <-> St. Petersburg
28.7. - 19.8.2003
Strecke/angelaufene Häfen:
Helsinki
> Hapasaari
> Kronstadt
> St. Petersburg
> Kronstadt
> Porvoo
> Helsinki
Skipper: Per Asmuss
Mitsegler: Claudia Harbich
(bis Porvoo)
Helsinki -> Hapasaari 95 sm
Hapasaari -> Kronstadt 85 sm
Kronstadt -> Passagierterminal 19 sm
Passagierterminal -> Yachthafen 11 sm
insgesamt 210 sm
Helsinki -> St. Petersburg: 5 Tage